Coaching
Ehrlichkeit währt am längsten
Ehrlichkeit ist eine gute und einfache Sache - oder?
Redaktion / 5/26/2022
Persönlichkeit
Führung
Wenn ich in Seminaren die anwesenden Führungskräfte frage, was ihnen „in der Führung“ wichtig ist, dann steht Ehrlichkeit an erster Stelle. „Ich als Psychologin“ bin dann immer irritiert, da ich weiß, dass Menschen zwischen 25 und 200 Mal am Tag (je nach Untersuchung) nicht die volle Wahrheit sagen.
Aber einen Schritt zurück: Was verstehen wir konkret unter Ehrlichkeit? Bis vor einigen Jahrzehnten verstand man unter einem ehrlichen Menschen einen, der nicht lügt und gesetzestreu ist. Oder weiter gefasst: einen Menschen, der redlich, aufrichtig und wahrhaftig war – und damit der Wahrheit verpflichtet. Und wieder stutze ich, genauer gesagt: mein „konstruktivistischer Anteil“ in mir. Gibt es so etwas wie die eine Wahrheit überhaupt? Ich halte es da gerne mit Kurt Tucholsky, der meinte:
Im letzten Jahrhundert hat das Verständnis von Ehrlichkeit aber eine Erweiterung erhalten: Heute versteht man unter einer ehrlichen Person eine, die zu sich selbst, ihren Macken, Defiziten und entwicklungsbedingten Neurosen usw. (reflektiert) steht und nichts beschönigt oder dramatisiert.
Bedeutet dies, dass man sich wie Luther hinstellt und sagt: „Hier steh ich nun und kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen.“?
Oder hält man sich eher an die Worte des Altkanzlers Schmitt, der meinte:
Dieses Zitat macht deutlich, dass es eine Unterscheidung zwischen der Ehrlichkeit in Äußerungen und Ehrlichkeit im Verhalten gibt. Am Ende entscheiden die Motive des „radikal“ Ehrlichen und die Motive des Menschen, der auslässt, der reguliert, der rollenspezifisch Selbstoffenbarung und Bewertung anderer justiert etc. Hier beantwortet sich die Frage nach Bewahrung der Beziehung, Selbstschutz oder Respekt vor dem Anderen oder nach Manipulation, Täuschung oder Beugung der „Wahrheit“ zum Wahren des eigenen Vorteils oder zum Schaden des Anderen.
Daher mein Appell: Sei radikal ehrlich dir gegenüber, warum du in bestimmten Situationen anderen gegenüber nicht ehrlich bist und was du damit bezwecken willst. Dient die „relative“ Wahrheit dir oder Anderen? Dient sie einem höheren Ziel? Oder geht sie den Weg des „geringsten“ Widerstandes? Bleiben wir uns selbst wahrhaftig, oder denken wir etwas anderes, als wir sagen?
Das erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion und Authentizität.
Ute Waidelich
Geschäftsführung der develoop GmbH
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